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24. März 2016

„Mein langer Rock gehört zu mir wie dein kurzer Rock oder deine Hose zu dir!“

Ist es wirklich für die Integration eines Menschen, speziell einer traditionell lebenden Roma-Frau, relevant welche Kleidung sie trägt? Ein Diskussionsabend hat gezeigt, dass das Bild von Frauen und Mädchen bei Roma so vielfältig ist wie es Untergruppen in der Community gibt, so dass nicht nur von einem Rollenverständnis die Rede sein kann, sondern es sich um viele verschiedene Rollenverständnisse handelt.

Im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus hat der Planerladen e.V. in Kooperation mit der Auslandsgesellschaft NRW zu einer Diskussionsrunde eingeladen, der rund 70 Interessierte gefolgt sind.

Schulische Bildung hat nichts mit Tradition zu tun

… sondern mit der Bildung der Eltern. „Für meine Eltern stand es außer Frage, dass ich und meine Geschwister alle zur Schule gegangen sind, egal ob Mädchen oder Junge. Wir haben alle die 10. Klasse abgeschlossen. Die weiterführende Schule war zu weit von unserem kleinen Dorf in Rumänien entfernt. Das konnten sich meine Eltern finanziell nicht leisten“, berichtete Livia Costica, die seit 2007 mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Deutschland lebt. Auch ihre drei Töchter sowie ihr Sohn haben alle die Schule besucht und arbeiten. Sie selbst ist, nach anfänglichen Schwierigkeiten, dank einer hilfsbereiten Nachbarin, der Unterstützung von sozialen Trägern und einem erfolgreich absolvierten Deutschkurs seit einigen Jahren wie ihr Mann berufstätig. In Rumänien hatte sie 20 Jahre lang einen Obst- und Gemüsemarktstand.

Auch der Schüler Leon Berisa berichtet, dass in seiner Familie alle Kinder gleich behandelt würden und sie dadurch gleiche Chancen hätten. „Meine Schwester hat BWL studiert, mein Bruder ist Einzelhandelskaufmann. Ich selbst engagiere mich politisch.“ In dem Projekt JUROMA (Junge Roma aktiv) der Otto-Benecke-Stiftung ist er als Mentor aktiv und unterstützt dort junge Roma bei dem Übergang von Schule in Ausbildung und Beruf. Dabei sei es auch ein Ziel, speziell Mädchen zu fördern. Oftmals muss dafür Überzeugungsarbeit bei den Eltern geleistet werden, denen aufgezeigt werden muss, dass die Teilnahme an dem Projekt und auch an großen Veranstaltungen zur Integration und zur Förderung ihrer Töchter beitragen. „Die Integration der Kinder fängt bei der Integration der Eltern an“, pflichtet Ismeta Stojković von Rom e.V. bei.
Tradition, das sind für Stojković Sprache, Bräuche, Feste, Tänze und ähnliches, was einer Integration nicht im Wege steht. Gleichzeitig wurde aus dem Publikum angemerkt, dass Traditionen sehr wohl integrationshemmend sein können, wenn etwa aufgrund des Rollenverständnisses der Mann entscheidet, ob seine Frau einen Sprachkurs oder ähnliche Angebote wahrnehmen darf.

Was für die eine gut ist, muss für die andere nicht automatisch auch gut sein

Costica berichtet, dass sie einmal eine Romni in traditioneller Kleidung gefragt habe, ob sie nicht einmal ihren einfachen Rock probieren wolle und sie trage dafür ihren traditionellen Rock. Darauf habe sie geantwortet, dass sie sich darin schämen würde. Hier ist jeder selbst gefragt, einmal die Perspektive zu wechseln und sich die Frage dann selbst zu beantworten!

Im vergangenen Jahr ist in Kooperation mit dem Planerladen e.V. das Foto- und Interviewprojekt ROMNI von zwei Dortmunder Fotografinnen entstanden. Dafür ließen sich Roma-Frauen aus der Nordstadt interviewen und in ihrer traditionellen Kleidung, die für sie Alltagskleidung ist, fotografieren. Ausgangspunkt des Projektes war für die Fotografinnen Anna Merten und Tabea Hahn die Frage, warum die Frauen diese bunten Kleider in der neuen Umgebung nicht ablegen, um nicht so aufzufallen und Vorurteilen und Diskriminierung aus dem Weg zu gehen. Zu sehen sind die Ergebnisse noch bis zum 30. März im Café Plus am Gnadenort 3-5.

Kleidung ist nur ein äußeres Merkmal und trägt nicht zur Integration bei

Für diese Frauen gehören die traditionellen Röcke zu ihnen. „Was stört die Leute daran? Ich störe mich auch nicht an den Frauen hier, die Miniröcke tragen. Meine Kleidung hat nichts damit zu tun, wie ich mich hier in der Gesellschaft integrieren kann“, sagte eine der interviewten Frauen. Dabei spielt auch eine gewisse Angst vor Assimilation und Werteverlust eine Rolle. Schlechte Erfahrungen, Diskriminierung und vor allem die Ethnisierung von sozialen Problemen können in der Folge zu Blockaden und zur Hemmung der Integration führen. 

„Bei uns tragen die Frauen normalerweise Hosen, nur bei Feierlichkeiten tragen wir auch mal einen Rock“, berichtete Costica. „Oder bei einer Veranstaltung wie heute“, schmunzelt sie. „Auch in Ex-Jugoslawien sind die Bräuche ähnlich“, berichtet die aus Serbien stammende Stojković. Die Roma-Community befinde sich in einer Umbruchphase. Wie die Tradition weitergegeben werde, hänge auch von dem Grad der Sozialisation und den äußeren Verhältnissen in den Herkunftsländern ab. Da gebe es große Unterschiede zwischen Ländern wie Bulgarien und Rumänien und Ex-Jugoslawien. Dadurch ergeben sich viele unterschiedliche Rollenbilder und Rollenverständnisse.

Es gibt ebenso wenig die Roma wie es nicht die Deutschen gibt. Das Fatale an Klischees ist nicht, dass sie ein falsches Bild zeichnen, sondern dass sie nicht vollständig sind und oft nur eine Seite zeigen.

 

Die Veranstaltung wurde von der Hildegard-Lagrenne Stiftung und der Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus sowie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

 

Hier finden Sie eine ausführliche Dokumentation der Veranstaltung: