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8. Juni 2010

Baukulturwerkstatt in Frankfurt a.M.: Die multiethnische Stadt – eine baukulturelle Auseinandersetzung mit Migration

Die Migration von Menschen prägt die gesellschaftliche und bauliche Vielfalt europäischer Städte, seit es sie gibt. Urbane Räume und Architektur sind zunehmend multiethnisch geprägt. Temporäre und dauerhafte Aneignungen und Gestaltungen städtischer Räume durch Zuwanderer führen zu Veränderungen städtischer Erscheinungsbilder. Die Baukulturwerkstatt des Fachbereiches Architektur und Städtebau der Universität Siegen widmete sich am 26. Mai 2010 in Frankfurt a.M. den Fragen, wie die Baukultur dieser Städte aussieht und wie ihr aktuelles Erscheinungsbild entsteht. Die mit Migration verbundenen Chancen und Potenziale für die zukünftige Stadtgestaltung wurden vorgestellt und gemeinsam erörtert.

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Migration: Wohnen und Wohnumfeld in Dortmund und im Ruhrgebiet

Frau Kabis-Staubach referierte in dem Themenblock „Urbane Räume in Bewegung – Fallstudien“ über die Impulse einer multiethnischen Gesellschaft für das Stadtbild und die Baukultur sowie über Bedürfnisse von Migranten.

• Spezifische Wohnbedürfnisse von Migranten?

Die Wohnforschung konnte keine spezifischen Wohnbedürfnisse von Migranten identifizieren. Häußermann und Siebel verweisen darauf, dass die mitunter vorfindbaren „qualitativ und quantitativ bescheideneren Wohnansprüche“ bei Migranten weniger auf eine andere „Kultur des Wohnens“ als auf demografische und sozialstrukturelle Unterschiede (biografische Übergangsphase einer „Arbeitsbevölkerung“, Unterbringung in Wohnheimen, geringere Urbanisierungserfahrungen etc.) zurückzuführen sind (2001,17). Teilweise sind noch wenig entwickelte urbane Erfahrungen bzw. Kompetenzen bei den aus ländlichen Gebieten zugewanderten Menschen zu beobachten (bspw. beim Wohnen im Geschosswohnungsbau oder bei der Mülltrennung). Manche unterstellen den traditionell-religiös geprägten Familien u.U. einen Bedarf nach einer geschlechtsspezifischen räumlichen Zonierung von Innen- bzw. Außenräumen. Daraus dürfte aber für die europäischen Länder nicht geschlussfolgert werden, dass migrantenspezifische Architekturkonzepte notwendig sind. Unterschiedliche Baukulturen sind zunächst einmal Ausdruck regionaler klimatischer, geologischer und topografischer Besonderheiten.

• Haben Migranten besondere Freiraumansprüche?

Im Gegensatz dazu finden sich mitunter Hinweise auf ausgeprägtere Freiraumorientierungen, zumal bei Familien aus eher ländlichen Kontexten, die teilweise ein stärkeres Interesse an gärtnerischer Bewirtschaftung von Freiflächen haben. Aufgrund des häufig noch sehr selektiven Zugangs zu Kleingartenvereinen besteht ggf. höherer Bedarf an der Nutzung öffentlicher Freiflächen, z.B. zum Grillen in Grünanlagen. Angesicht der durchschnittlich schlechteren Wohnungsversorgung (Belegungsdichten etc.) kommt der intensiven Freiraumnutzung aber auch eine sozial kompensatorische Funktion zu.

Wo liegen die Impulse der multiethnischen Gesellschaft für Stadtbild und Baukultur?

Die multiethnische Stadt drängt auf die symbolische Repräsentanz der Minderheiten auch im Stadtbild. Die durch diese Vielfalt vertretenen unterschiedlichen Religionen brauchen ihre eigene Infrastruktur, die sich im Stadtbild als qualitätsvolle Architektur, repräsentativ und gut erreichbar auszeichnet und nicht in Hinterhöfen versteckt wird. Daraus entsteht häufig eine Debatte um Gotteshäuser als Bereicherung der Baukultur in der multiethnischen Stadt oder als Machtdemonstration. Dabei kommt die Qualitätssicherung auch dem kommunalen Städtebau als Aufgabe zu. Beispielsweise können Moscheebauten hierzulande eine neue eigene europäische Architektursprache erhalten, die sich von der osmanischen oder arabischen unterscheidet.

Veranstalter der Baukulturwerkstatt, die im Rahmen der laufenden ExWoSt-Forschungsstudie "Baukultur in der multiethnischen Stadt" stattfand, war das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vertreten durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.