Aktuell  Detail
2. März 2010

Studie in 11 europäischen Großstädten: Muslime werden stärker diskriminiert

Eine Studie des Open Society Institute hat die Situation von Muslimen in elf europäischen Großstädten beleuchtet, darunter auch Berlin und Hamburg. Ein Ergebnis war, dass die Befragten – entgegen der landläufigen Meinung – lieber in ethnisch und religiös gemischten Quartieren wohnen, statt nur unter ihresgleichen zu sein. Damit einher geht auch die Äußerung, dass sie Nachteile darin sehen, wenn ihre Kinder nicht auf ethnisch gemischte Schulen gehen.

Die Studie schlussfolgert: Muslime werden in ihren Chancen durch Diskriminierung und Ungleichbehandlung eingeschränkt, daher muss die Politik gegen Vorurteile und diskriminierendes Verhalten vorgehen und sich für mehr Diversity (z.B. auch gemischte Quartiere) einsetzen, um somit die Integration zu fördern. Denn die Untersuchung zeigt, dass Muslime, je mehr sie bspw. durch Arbeit und Ausbildung in die Mehrheitsgesellschaft eingebunden sind, sich umso stärker dem jeweiligen Land, in dem sie leben, zugehörig fühlen. Drastisch zeigen sich hier die Zahlen aus Deutschland: In Hamburg (22%) und Berlin (25%) war dieses Zugehörigkeitsgefühl am schwächsten ausgeprägt (im EU-Schnitt waren es 61%) – ein Resultat einer viel zu spät erfolgten Anerkennungspolitik.

Neben den beiden deutschen Großstädten wurden die Metropolen Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen, Kopenhagen, Leicester, London, Marseille, Paris und Stockholm untersucht. Als Grundlage der nicht-repräsentativen Studie dienten rund 2.200 persönliche Interviews mit 1.110 Muslimen und 1.089 Nicht-Muslimen im Zeitraum von Januar 2008 bis Juni 2009. Neben Themen wie Bildung, Arbeitsmarktintegration, Gesundheit sowie gesellschaftliche und politische Partizipation wurden die Interviewpartner auch nach ihren Erfahrungen im Wohnbereich gefragt.

 

Hier sind einige Ergebnisse der Studie aus dem Themenblock Wohnen und Nachbarschaft:

  • 73% der Nicht-Muslime und 56% der Muslime leben in durchmischten Quartieren. Die befragten Muslime betonen, dass sie nicht in homogenen Viertel unter ihresgleichen, sondern in durchmischten Quartieren wohnen wollen; sie haben Angst vor Segregationsprozessen, die in Parallelgesellschaften enden. Stadterneuerungsprogramme setzen hier an, um auch im Wohnbereich mehr Diversity und einen größeren sozialen und ethnischen Mix in ausgeglichen Nachbarschaften zu erzeugen. Wichtig dabei ist vor allem, bei der sozialen Durchmischung behutsam vorzugehen und Gentrifizierungsprozessen (Segregation und Ausgrenzung), die zu Lasten der Armen gehen, vorzubeugen. Mit einem ethnischen Mix muss auch die soziale Infrastruktur angepasst werden, wie z.B. die Qualität der Schulen, die über Fort- und Zuzüge erheblich bestimmt (-> siehe Datei "Ethnische und religiöse Zusammensetzung der Nachbarschaft").
  • Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie Großbritannien und den Niederlanden konzentrieren sich Muslime in Deutschland nicht auf einige wenige Metropolen, sondern verteilen sich aufgrund der industriellen Entwicklung in Deutschland auch auf Klein- und Mittelstädte.
  • In Berlin können Prozesse beobachtet werden, in denen Immigranten auch nach ihrem sozialen Aufstieg in dem Quartier wohnen bleiben, was durch eine positive Identifikation mit dem Stadtteil zu erklären ist. Die Idee basiert darauf, dass die „sozialen Aufsteiger“ weiterhin in ihr Umfeld investieren.
  • Die Studie bestätigt, dass Muslime häufiger im Sozialen Wohnungsbau (37% gegenüber 27% der Nicht-Muslime) und in beengten sowie ärmlichen Verhältnissen leben. Von den Nicht-Muslimen lebt knapp ein Drittel zur Miete auf dem privaten Wohnungsmarkt, bei den Muslimen ist es nur ein Fünftel. Muslime leben häufiger mit ihren Eltern oder Geschwistern zusammen (20% gegenüber 12%) (-> siehe Datei "Wohnstatus").
  • Beurteilung des Sozialen Wohnungsbaus: Die Befragten in Hamburg antworteten, dass ihre Beschwerden oftmals nicht ernst genommen würden, in Berlin sind die Mieter aufgrund der schlechten Wohnungszustände unzufrieden.
  • Zugang zu Wohnraum: In diesem Bereich sind die Diskriminierungserfahrungen der Befragten sehr gering: 7% gaben an, in den letzten 12 Monaten durch den Vermieter oder eine Agentur diskriminiert worden zu sein; bei den Nicht-Muslimen war es gerade mal 1%.
  • Wohndauer: Die Mehrzahl der Befragten lebt seit über 10 Jahren in dem Quartier.
  • Zufriedenheit mit dem Wohnumfeld: Eine überragende Mehrheit von 93% ist mit ihrem Wohnumfeld zufrieden; die Unterschiede zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen sind ebenso wie bei der Wohndauer nicht signifikant. Differenzen gibt es nur zwischen den Geschlechtern: Mit 65% sind Männer zufriedener mit ihrer Nachbarschaft als Frauen (45%).
  • Zuzugsgründe: Während bei den Muslimen die Eltern die Entscheidung getroffen haben (14%) oder sie sich nicht direkt für diese Wohngegend entschieden haben (10%) oder aber aufgrund des Sozialen Wohnungsbaus in dem Quartier dorthin gezogen sind (6%), sind die Hauptgründe bei den Nicht-Muslimen die Nähe zum Arbeitsplatz, die Erschwinglichkeit sowie der gute Wohnstandort.


Empfehlungen:

  • Unterstützung der ethnischen und religiösen Mischung von Wohnvierteln durch die Kommunen
  • Stärkere Interaktion zwischen verschienenden ethnischen und religiösen Gruppen an Schulen, im Geschäftsleben und am Arbeitsplatz sowie auf kommunaler Ebene
  • Entwicklung von städtischen Kampagnen zum Thema „Integration“
  • Erleichterung der Einbürgerung von Drittstaatsangehörigen
  • Einführung des nationalen Wahlrechts für Drittstaatsangehörige
  • Größere Erhebung von Informationen und statistischen Daten über Minderheiten auf EU-Ebene als Grundlage für politische Entscheidungen und für den Informations- und Erfahrungsaustausch
  • Mehr Unterstützung für Einrichtungen im Bereich der Antidiskriminierungsarbeit

 

Hier geht es zum Download der Studie.