37. Bürgerforum Nord trifft Süd – Gelungenes Auswärtsspiel zum Sachstand unserer Demokratie
Erstmalig gastierte das Bürgerforum Nord trifft Süd am 28. August 2024 in der ParkAkademie im Westfalenpark. Eingeladen hatten Planerladen gGmbH und Auslandsgesellschaft.de e.V., um über die Diskussionsbereitschaft der Dortmunder Stadtgesellschaft angesichts von zunehmender Polarisierung zu diskutieren. Mit dabei waren sechs Vereine, Initiativen und Schulen aus dem gesamten Dortmunder Stadtgebiet, von Marten über Dorstfeld bis hin zur Nordstadt. Die rund 60 Anwesenden aller Altersgruppen teilten in offener, von Kay Bandermann moderierten Runde mit, wie ihr soziales Engagement von ihren Mitmenschen aufgenommen wird und wo aktuell dringend Engagement gegen demokratiefeindliche Meinungsbildung stattfinden muss
Den Anfang machte David Wiegemann, Jugendbildungsreferent der DGB-Jugend. Er bemängelte, dass junge Menschen nur noch in vereinzelten Großunternehmen wie Thyssen Krupp Gewerkschaften beitreten, nicht aber in Bereichen wie z.B. Bau oder Gastronomie. Hier sei die Mitgliedschaft eher selten, dabei vertreten und vermitteln Betriebsräte sowie Gewerkschaften wichtige demokratische Rechte und auch Erfahrungen. Während früher diese Erfahrungen noch selbstverständlicher von Generation zu Generation weitergegeben wurden, brauche es heute mehr Aufklärung in Schulen.
Daher gehe die DGB Jugend in Berufsschulen, um über Interessenvertretung und insbesondere über die im Herbst anstehenden JAV-Wahlen (Wahlen zur Jugend- und Auszubildendenvertretung) aufzuklären. Für einige der Auszubildenden sei dies sogar, da sie keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, die erste Möglichkeit in Deutschland an Wahlen teilzunehmen. Auch gegen Rechtsextremismus setzt sich die DGB Jugend ein und bietet das stadtbekannte Programm „90 Minuten gegen Rechts“ an Schulen an. Die konsequente Positionierung führe häufiger zu Aburteilungen als linksextrem und auch zu Austritten, doch auf der anderen Seite würden gerade wegen dieser Positionierung auch neue Menschen eintreten.
Als nächstes stellte sich der Verein BeZent e.V. vor, einer der ersten (vor sechzig Jahren) von türkeistämmigen Menschen gegründeter Verein, der zum Ziel hat türkische Migrant*innen in hiesige gemeinsame Arbeits-, Sozial- und Umweltkämpfe einzubeziehen. Ege Kaçar, Mitglied des DIDF, der Jugendgruppe des Vereins, kritisierte Spaltungen in Belegschaften und berichtete von eigenen Erfahrungen. In seinem Betrieb falle ihm auf, dass immer noch Migrant*innen und Nicht-Migrant*innen in der Mittagspause unter sich bleiben würden. Das entspräche nicht einer wirklich offenen und vielfältigen Gesellschaft.
Das Beispiel fand auch im Publikum Resonanz. So wurde diskutiert, ob fehlender Anpassungswille der Grund sein könnte. Erwidert wurde von Ege Kaçar, dass es teilweise instinktive Gruppenfindung gebe, wenn man zuvor schon mit vielen Menschen aus seiner Community in der gleichen Nachbarschaft, im gemeinsamen Kindergarten und Schule gewesen sei. Außerdem sei Integration keine Einbahnstraße, da alle aufeinander zugehen müssten. BeZent e.V. versuche über Kultur- und Diskussionsveranstaltungen seinen Teil dazu beizutragen.
Mit der Vorstellung des Fördervereins Marten und Germania ging es nun vom Arbeitskontext über zu nachbarschaftlichem Engagement. Die Initiative sei gegründet worden nachdem Dorstfelder Nazis geplant hatten auch Marten mit einzugemeinden, erzählt Martin Rößler, zuständig im Bereich Demokratie und Vielfalt des Vereins. Damals hätten sich die Engagierten vorgenommen die Ausbreitung der Rechtsextremen im Stadtteil aufzuhalten und ihnen mit einer Vielzahl verschiedener Kulturveranstaltungen und einer klaren Haltung gegen Rechts entgegenzuwirken. Die Strategie war erfolgreich und zeige auch heute noch Wirkung, was sich nach Rößler in den verhältnismäßig geringen Wahlergebnissen der AfD in Marten zeige. Gleichzeitig gebe es im Facebookforum von Marten mittlerweile Diskussionen, die von Angst geprägt sind und sich um ein „früher war alles besser“ drehen. Kommunikation sei da schwierig, so Rößler.
Anschließend berichteten Vertreter zweier Dortmunder Schulen über aktuelle Projekte und Herausforderungen. Rüdiger Koch leitet die AG Schule ohne Rassismus des Immanuel- Kant- Gymnasiums in Dortmund Asseln, die die erste „Schule ohne Rassismus“-Schule Deutschlands war. Auch in Schulen ist rechtsextremes Gedankengut verbreitet, denn die Schule sei ein Spiegel der Gesellschaft und damit genauso divers in politischen Ansichten.
Es dauere sehr lange, Schüler*innen zu erreichen, insbesondere dann, wenn gegen die Meinungen und Einstellungen des Elternhauses angekämpft werden müsse. Doch die neuere Herausforderung seien die sozialen Medien. „Sie werden überrascht sein, wie wenig informiert Jugendliche sind“ sagt Rüdiger Koch und führt dies auf das Problem zurück, dass Jugendliche sich seiner Erfahrung nach hauptsächlich über Social Media informieren würden. Nicht nur das die AfD am präsentesten in den sozialen Netzwerken ist, sondern es fehle den Schüler*innen an Detailwissen, dass in einem einfachen Instagrampost keinen Platz finde. Beharrlich versucht er weiterhin Schüler*innen für Demokratieprojekte zu gewinnen, auch bei mäßigen Interesse. Denn ohne diese Projekte gäbe es dazu noch sehr viel weniger Wissen.
Letzteres ist den drei Vertretern des Reinoldus- und Schiller-Gymnasiums aus Dorstfeld gelungen. Hassan ist Schulsprecher und berichtete zusammen mit seinem Bruder Mohammed vom Projekttag „Tag gegen Rechts“, den die Courage AG organisierte. Über 30 Schüler*innen stellten ein Programm zusammen, in dessen Mittelpunkt das Engagement gegen Rassismus und für Demokratie stand. Auch die Lehrer*innen konnten sich einen Tag lang mit ihren Schüler*innen über diese Themen austauschen. Möglich war dies dank der Unterstützung der Quartiersdemokraten und einer Förderung über 5.000 Euro. Der Tag wurde gut aufgenommen, es habe lediglich nur wenige Beschwerden von Eltern gegeben. Aber von Schüler*innenseite letztendlich sei vor allem der Wunsch aufgekommen, noch mehr solcher Veranstaltungen zu planen und bei den Planungen mit eingebunden zu werden.
Alexander Völkel von den Nordstadtbloggern war als letzter Gast auf dem Podium und konnte die bisherige Diskussion aus Perspektive einer investigativen und haltungsbezogenen Pressestimme einordnen sowie miteinander verknüpfen.
Er bemängelte die aktuell fehlende Streitkultur, „dabei sei die Kommunalpolitik aufgrund unterschiedlicher Mehrheitsmöglichkeiten eigentlich so spannend wie noch nie“. Doch gleichzeitig sei auch die Meinungstoleranz („Lunte“) der Beteiligten sehr viel kürzer geworden. Alexander Völkel sieht, dass Viele sich auf Social Media zurückgezogen haben, in deren Kommentarbereichen jedoch Agitation, Hetze und eine regelrechte digitale blaue Welle stattfinde. Die Nordstadtblogger sind auch deshalb auf nahezu allen Social-Media-Plattformen vertreten und eröffnen demnächst einen eigenen TikTok-Kanal, um auch diese Plattform zu bespielen.
Dazu braucht es aber Kraft und Zeit. Gerade wegen der Hetze in den Kommentarspalten, die moderiert werden müssten und weil diese Hetze sogar bei vielen Beiträgen auftrete, bei denen sie das gar nicht erwartet hätten. Hier bräuchte es viel mehr Ressourcen, aber es fehlen die Fördermöglichkeiten für diese Arbeit.
Alex Völkel ist das Problem der Meinungsbildung von Kindern und jungen Erwachsenen über Social Media bekannt und verweist deswegen auf die Correctiv Jugendredaktion, die neu in der Nordstadt eröffnet wurde. Sie vermittelt Jugendlichen Medienkompetenz und bietet ihnen die Möglichkeit, sich journalistisch auszuprobieren. Diese Jugendredaktion und auch die Redaktion der Nordstadtblogger selbst ist vor allem für Jugendliche mit Migrationshintergrund eine sehr gute Möglichkeit, journalistisch zu arbeiten, da viele Redaktionen im Gegensatz zu diesen noch immer zu weiß sind. Hier fehle es an Wissen und stattdessen sind Vorurteile in diesen verbreitet.
Daneben versucht Nordstadtblogger der Polarisierung mit eigenen Themen etwas entgegenzustellen. Die Stigmatisierung der Nordstadt als Rot- und Blaulicht-Viertel bediene rechtsextreme Meinungen und daher sei es wichtig eigene Themen zu setzen und Aufklärung zu betreiben.
Am Ende hallt insbesondere der Appell nach, am Ball zu bleiben und Antidemokraten nicht den (analogen oder digitalen) Raum zu überlassen. Gemeinsam ließen die Gäste den Abend am Buffet oder auf der Terrasse der ParkAkademie mit Blick auf den Hörder Hochofen ausklingen.
Das nächste Bürgerforum Nord trifft Süd findet am Mittwoch, 06. November in den Räumlichkeiten der Auslandsgesellschaft.de statt.
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Hintergrund:
Das „Bürgerforum Nord trifft Süd“ ist eine Veranstaltungsreihe der Planerladen gGmbH in Zusammenarbeit mit der Auslandsgesellschaft und mit freundlicher Unterstützung von MIA-DO Kommunales Integrationszentrum Dortmund. Das Projekt wird aus Mitteln des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU kofinanziert.