„Alles total nah beieinander und dabei so viele Menschen“ – Gleichstellungsbüro Stadt Dortmund unterwegs in der Nordstadt
Das Gleichstellungsbüro der Stadt Dortmund war mit dem Planerladen-Team vom Projekt „Nordstadt to go!“ unterwegs zum Thema „Zugang zum öffentlichen Raum und Gender Planning“. In den Quartieren Nordmarkt und Borsigplatz thematisierten die Referent*innen unterschiedliche Dimensionen von Stadtplanung und Teilhabe im öffentlichen Raum.
Ein Teilnehmer zog in der Abschlussrunde das knappe Fazit: „Alles total nah beieinander und dabei so viele Menschen“. Als belebter Platz entspricht auch der Nordmarkt diesem Motto. Hier begrüßen die Mitarbeiterinnen des Planerladens, Annika Stremmer und Anna Tenholt, die Teilnehmer*innen zum Rundgang am 15. August und stellten die Frage: Ist der städtische / öffentliche Raum auf die verschiedenen Bedürfnisse der hier lebenden Menschen ausgerichtet? Diese Frage begleitete die Gruppe auf ihrem Weg.
Das Toilettenhäuschen auf dem Nordmarkt steht hier eher als trauriges Gegenbeispiel: ein Bedürfnis, dass wohl wirklich alle Menschen teilen, kann nicht von allen Menschen erfüllt werden. Auf dem Nordmarkt stehen die einzigen (!) öffentlichen und kostenfreien Toiletten in der gesamten Nordstadt (60.000 Einwohner*innen). Bereits in 2018 hatte sich der Planerladen auf die Initiative der Gewerbetreibenden und Anwohner*innen hin für die Sanierung eingesetzt. In 2019 erfolgte zwar eine Renovierung, aber die angekündigte grundlegende Sanierung des Örtchens lässt auch in 2023 noch auf sich warten. Mindestens genauso alt wie das Häuschen scheint das Schild auf dem Rasen zu sein, das die Parkbesucher*innen warnt: „Insbesondere verboten“ ist das „Betreten nicht freigegebener Flächen“ oder auch „Fußballspielen“.
In der Einrichtung von Kober e.V. (Kommunikations - und Beratungsstelle für Prostituierte) wird die Bedeutung von spezifischen Schutzräumen für Menschen in prekären Situationen thematisiert. Vor allem Sexarbeiter*innen und Frauen nutzen das Café und die Möglichkeit zum Duschen und Ausruhen. Die einzige andere Übernachtungsstelle für Frauen in Dortmund befindet sich in Hörde. Für wohnungslose und/oder obdachlose Menschen sind kaum noch Räume in der Stadt vorhanden. Auch die Teilnehmenden wissen von der Vertreibung, die beispielsweise am Bahnhof und in der Innenstadt betrieben wird. Zudem weist der öffentliche Raum immer häufiger sogenannte „defensive/ feindliche Architektur“ auf, die dem Zweck dient unerwünschte Personengruppen wie wohnungslose Menschen oder auch Kinder und Jugendliche von bestimmten Orten fern zu halten (z.B. eine Sitzbank, die aufgrund einer mittigen Abtrennung nicht zum Liegen genutzt werden kann). Dabei sollte auch die Ausstattung des öffentlichen Raumes die Menschen in ihren alltäglichen Aktivitäten unterstützen und dabei nicht ausgrenzen. Nachdem das Team von Kober e.V. die Tätigkeiten vorgestellt hat, startet eine der Teilnehmerinnen spontan einen Aufruf zur Spendenaktion: statt Geschenken möchte sie zum Geburtstag Geld sammeln und an den Verein spenden. Einige andere Teilnehmer*innen nehmen sich auch vor, Kleidung oder Hygiene-Artikel hier abzugeben, da diese immer gebraucht werden.
Eine Querstraße weiter befindet sich der „Raum vor Ort“, auch hier werden Menschen in prekären Lebenslagen angesprochen: Neu-Ankommende, Familien und Kinder. Niederschwellige Bildungsangebote sind an die Bedürfnisse, Wünsche und alltäglichen Herausforderungen der Menschen angepasst: Frauen-Frühstück, Sprachkurse, Sprachkurse für Schüler*innen, Hausaufgabenbetreuung, Computerkurse etc. Gleichzeitig sieht die Einrichtung sich als Ort des Empowerments: Frauen, die selbst angekommen sind, arbeiten als Dozent*innen und geben ihr (Erfahrungs-)wissen weiter und werden so direkter in die Nachbarschaft und Stadtgesellschaft eingebunden.
Raum für Begegnung bieten auch urbane Gemeinschaftsgärten, wie das „Alsengrün“ an der Alsenstraße. Besonders in der eng bebauten und dicht besiedelten Nordstadt sind öffentliche und frei zugängliche Grünflächen ein kostbares Gut, da nur die wenigsten Menschen einen eigenen Balkon oder Garten besitzen. Glücklicherweise gibt es solche selbstverwalteten Nachbarschaftsgärten, die sich zu dem Netzwerk „Gartennetz Nord“ zusammengetan haben.
Als weitere Station wurde das Quartier „Borsig West“ (Projekt der Vivawest GmbH) besucht, das zeigt, wie moderne und bedürfnisorientierte Wohnplanung und -bebauung auch aussehen kann: Balkone an allen Wohnungen, Grün- und Freiflächen, ausreichend Beleuchtung und barrierefreie Eingänge, Platz für Fußgänger oder spielende Kinder vor den Häusern, Parkplätze auf einer begrenzten Fläche und eine gute Sicht, sodass keine Angsträume entstehen können. Allerdings werden diese Wohnungen überwiegend auf dem privaten Wohnungsmarkt angeboten, ohne eine Preisbindung.
Mieten steigen in der Nordstadt ähnlich wie im Rest der Stadt (und den meisten Städten), wie erst jetzt wieder im Wohnungsmarktbericht nachzulesen ist: „Bei Neuvermietungen sind die Mieten seit 2017 um rund 25 Prozent gestiegen“ (https://www.nordstadtblogger.de/stark-angespannter-wohnungsmarkt-die-mieten-steigen-aber-die-bereitschaft-zum-bauen-sinkt/)
Zum Abschluss im „Quartierstreff Concordia“ wurde noch die Ausstellung „Göç. Borsigplatz'da yaşayan 13 kadının dilinden | Ankommen. 13 Frauen vom Borsigplatz erzählen“ besucht. Die porträtierten Frauen sind Nachbarinnen hier am Borsigplatz und frühstücken gerne hier im Treffpunkt.
Insgesamt erleben die Besucher*innen die Nordstadt ambivalent: Teilweise laut, teilweise kleine Oasen. Auf einer kleinen Verkehrsinsel zwischen zwei vielbefahrenen Spuren wird die Lärmbelastung am Borsigplatz deutlich. Bei Kober und im Missundehof findet man hingegen ruhige Hinterhöfe, die auch typisch für den Stadtteil sind.
Das Projekt „Nordstadt to go!“ wird gefördert durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Das Angebot ist für Gruppen aus der Nordstadt und für Ehrenamtliche kostenlos. Für bestehende Gruppen bietet das Projekt Rundgänge mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten. Für die Vorbereitung kann das Projektteam über Instagram @nordstadttogo, per E-Mail gwo@planerladen.de oder telefonisch 0231-833225 erreicht werden.